Offensives Erinnern!

Am gestrigen Sonntagabend erinnerten 200 Menschen an den rechtsterroristischen Anschlag in der Kölner Probsteigasse, der sich zum 14. Mal jährte. Mit Videobeiträgen, Interviews, einer Lesung und Reden wurden die Geschehnisse am 19. Januar 2001 dargestellt, die Folgen thematisiert und die Arbeit der Ermittlungbehören kritisiert. Bis heute ist der Anschlag unaufgearbeitet, der Täter unklar und Konsequenzen für die beteiligten Behörden blieben aus.

Einen Tag vor dem eigentlichen Jahrestag des Bombenanschlags in der Probsteigasse veranstaltete die Antifaschistische Koordination Köln und Umland mit einigen Unterstützerinnen und Unterstützern eine Gedenkveranstaltung an dem Ort, wo ein Sprengsatz in einem Lebensmittelgeschäft explodierte. Die Explosion hatte Folgen. Die damals neunzehnjährige Tochter des Ladenbesitzers, die aus dem Iran stammte und die zusammen mit ihrer Familie in der BRD Asyl erhielt, erlitt schwerste Verletzungen. Nur zufällig ist sie mit dem Leben davon gekommen. Nur zufällig waren keine weiteren Personen im Laden. Neben dem physischen Schaden entstand erheblicher Sachschaden und eine psychische Belastung für die gesamte Familie, die dadurch zur Geschäftsaufgabe gezwungen wurde. In einem Video (siehe Sidebar, Gemeinschaftsproduktion von SZ-Magazin, BR und UFA) wurde der Tathergang und seine Folgen deutlich, der die Familie bis heute beschäftigt.
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Anschließend berichtete die Musikgruppe Microphone Mafia, die ihr Tonstudio im gleichen Haus hatte, in dem der Anschlag passierte, über die Wochen nach dem Anschlag. Sie beschrieben die falschen Ermittlungsansätze der Kölner Polizei, die auch in diesem Fall frühzeitig einen rechten Hintergrund der Tat ausschloss. Die Stimmung in der Straße war damals von Betroffenheit gekennzeichnet. Anders als in der Keupstr. waren die Kunden im Laden der Familie vor allem Herkunftsdeutsche. Sie sammelten sogar Spenden für die Familie. Der Umgang in der Straße kann daher als solidarisch bezeichent werden. Die Betroffenheit der Anwohner_innen ist sicherlich auch durch die Tatsache zu erklären, dass die Detonation weit außerhalb des Geschäftes zu spüren war, wie ein Anwohner am Rande der Kundgebung erzählte.

Der Anschlag wird dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugerechnet, eine terroristisches Netzwerk, dass über viele Jahre von Behörden unbehelligt in Deutschland morden und Anschläge verüben konnte. Die Anwältin Edith Lunnebach kümmert sich seit Jahren um die juristische Aufarbeitung des Falls. In einem weiteren Video (siehe Sidebar) berichtete sie ebenfalls über die wenig konsequenten Ermittlungen der Polizei und der Kriminalämter, die Chancen und Grenzen des NSU Prozesses und die Ähnlichkeit des Täters mit einem Kölner Neonazi. Das Phantombild legt nahe, dass weder Mundlos, noch Bönhardt den Sprengsatz im Geschäft abgegeben haben kann. Es weißt eine frappierende Ähnlichkeit zu einem Kölner Neonazi Johannes Helfer auf. Die Rolle des Kölner Neonazis und eine mögliche Verbindung zum Verfassungsschutz ist laut Lunnebach offen. Eine Aufklärung des Falls eher unwahrscheinlich, da die Asservaten vernichtet worden sind.

Zehn Jahre lang wollte niemand einen Zusammenhang zwischen dieser Tat und den anderen Morden und Anschlägen des NSU wie den Nagelbombenanschlag auf die Keupstraße sehen. In einem folgenden Redebeitrag stellten Aktivist_innen der Initiative „Keupstraße ist überall“ die Verbindung zum Anschlag in der Kölner Keupstraße her. Sie lasen aus den Büchern „Von Mauerfall bis Nagelbombe“ des Hrsg. Dostluk Sinemasi und „Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen“ von Barbara John. Durch ihre Lesung wurde deutlich, dass die Betroffenen in der Keupstraße und der Probsteigasse ganz unterschiedlich mit der Nachricht umgingen, dass hinter den Anschlägen ein rechtsterroritisches Netzwerk steht. Während in der Keupstraße nach einer Täter-Opfer-Umkehrung durch die Kölner Polizei herauskam, dass Neonazis verantwortlich waren, machte sich bei vielen Betroffenen Erleichterung breit. Das, was sie schon immer gesagt hatten, wurde jetzt wahr. Diese Nachricht löste bei der Familie aus dem Lebensmittelladen der Probsteigasse völlig andere Reaktionen aus. Sie müssen bis heute mit der Ungewissheit des Täters leben und damit, dass sie Betroffene von Gewalttaten eines neonazistischen Netzwerks geworden sind.
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Bevor in einer Schweigeminute den Betroffenen von neonazistischer Gewalt und Rassismus gedacht wurde (vor allem Khaled Idris Bahray, der in der Nacht des 13.1. auf den 14. in Dresden ermordet wurde), ordnete ein Redner der Antifaschistischen Koordination Köln und Umland die Geschehnisse in der Probsteigasse in einen gesellschaftlichen Kontext ein und skizzierte die aktuellen rassistischen Mobilisierungen rund um PEGIDA. Hier ein paar Auszüge und Schwerpunkte der Rede:

Dabei war rassistisch motivierte Gewalt gegen Menschen mit Migrantionshintergrund und gegen Flüchtlinge auch vor 14 Jahren nichts Neues. Leider auch keine Morde. Bereits Anfang der 90er Jahre kam es zu zahlreichen Progromen wie in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Durch rassistische Medienhetze und der quasi Abschaffung des Asylrechts sowie der Zustimmung durch Bürger_innen, sahen sich die Neonazis bestärkt in ihren Taten.
Die rechtsextreme Gewalt nahm immer stärker zu. Auch in NRW.

Das Blood and Honor Netzwerk und Combat 18 riefen zum Aufbau militanter Terrorzellen auf. Die Strategie war: Kein großes Medienecho und demnach kein großer Fahndungsdruck.
Zwei Strategien, die beim NSU zusammen kamen. Deshalb wurde erst nach Selbstenttarnung des NSU wurde klar: Auch der Anschlag in der Probsteigasse gingg auf das Konto der Nazi-Terroristen. Wie bei den anderen Anschlagszielen ging es auch hier darum, Menschen mit migrantischem Hintergrund zu treffen, die eine Existenz in Deutschland aufgebaut hatten. Und auch hier wurden die Täter bis zur Enttarnung des NSU 2011 in den Reihen der Opfer und ihrer Angehörigen gesucht. Auch hier wurde lange ein rassistsicher Hintergrund der Tat geleugnet oder einfach nicht zur Kenntnis genommen.

Eine umfassende Aufklärung würde bedeuten, die tiefen Verstrickungen von Verfassungsschutz und Polizei offenzulegen. Und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die das Netzwerk des NSU mitaufgebaut und mitfinanziert haben. Doch noch immer werden die geschützt, die die Verbrechen des NSU in dieser Dimension erst ermöglicht haben.
Eine umfassende Aufklärung würde bedeuten, einen neuen Umgang mit dem institutionellen Rassismus der Sicherheitsbehörden finden zu müssen.

Noch heute gibt es eine große Neonazi-Szene in Deutschland. Gewaltbereit wie nicht zuletzt die Hogesa-Demos und die vielen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gezeigt haben. Und wie die zunehmende rassistisch motivierte Gewalt in den letzen Wochen zeigt. Denn: Noch heute kann Polizei, Politik und Verfassungsschutz kein Vertrauen geschenkt werden. Zu viel haben sie zu verbergen. Und: Auch heute gibt es eine breite bürgerliche, rassistische Masse, wie die Pegida-Bewegung zeigt, die eine Stimmung schafft, in der die Hemmschwelle für rassistisch motivierte Übergriffe sinkt. Ihre Hetze bestärkt rassistische Gewalttäter.

Was können wir tun?
Schon nach dem Anschlag auf der Keupstraße haben viele Betroffene gesagt, dass das Nazis waren. Wir müssen uns der Perspektive der Betroffenen annehmen. Ihnen glauben.
Wir dürfen den sogenannten Sicherheitsbehörden NICHTS glauben. Wir dürfen nicht aufhören, so unwahrscheinlich es auch scheinen mag, eine umfassende lückenlose Aufklärung der Taten des NSU und seiner Unterstützer*innen zu fordern. Wir dürfen nicht aufhören, Konsequenzen für Polizei und Verfassungsschutz zu fordern. Wir dürfen nicht aufhören, die Abschaffung des sogenannten Verfassungsschutzes zu fordern.
Wir müssen uns mit gesellschaftlichen Entwicklungen befassen, die Nährboden für rassistische Gewalt sind. Das heißt heute ein gesellschaftliches Gegengewicht gegen Pegida, Hogesa und co. zu schaffen. Damit nie wieder so eine Ignoranz, so ein Wegsehen passieren kann wie beim NSU. Wir haben gesehen, dass Lichterketten und Verbote nichts an der Gewalt verändern. Hinsehen, hartnäckig bleiben, das ist das Einzige, was zählt.
Unsere Trauer gilt den Toten. Unser Mitgefühl den Verletzten und Hinterbliebenen. Unsere Solidarität allen Betroffenen, die noch heute unter den Folgen der Anschläge leiden. Unsere Wut gilt allen, die das gleiche rechte Gedankengut mit sich herumtragen, das solche Taten jederzeit wieder ermöglicht. Unsere Wut gilt Staat und Behörden, die Betroffene nicht schützen sondern beschuldigen – und die selbst so durchsetzt sind von Ignoranz und Rassismus, dass sie auf dem rechten Auge blind bleiben.

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Zum Ende der Kundgebung wurde ein Hinweisschild, das auf den Anschlag hinweist, unter dem Straßenschild in der Probsteigasse angebracht. Bis heute hat die Stadt Köln keinen geeigneten Umgang mit dem Anschlag in der Probsteigasse gefunden.

Für die lückenlose Aufklärung aller Taten des NSU-Netzwerkes!
Erinnern heißt handeln! Rassismus tötet!