Seit Januar 2015 tagt in Düsseldorf der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Als Zielvorgabe hat sich der PUA u.a. die Untersuchung „weiterer, in Nordrhein-Westfalen begangener Straftaten mit einem mutmaßlich politisch rechts motivierten Hintergrund…“ gesetzt. Während der noch ungeklärte Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vom 27. Juli 2000 im Untersuchungsausschuss behandelt werden wird, scheint bisher noch unklar, ob drei Anschläge, die Anfang der 1990er Jahre in Köln begangen wurden, Thema der Arbeit des PUA im Düsseldorfer Landtag sein werden. Eine genauere Betrachtung der fast völlig in Vergessenheit geratenen Anschläge zeigt aber, wie wichtig es wäre, diese im PUA nicht nur zu thematisieren, sondern sie auch zum Gegenstand konkreter Auseinandersetzung und Aufklärung zu machen. Denn alle drei weisen deutliche Parallelen zu Anschlägen des NSU auf. Ein Rückblick in die 1990er Jahre…
Schlagwort-Archive: Probsteigasse
Bilanz nach 200 Tagen NSU-Prozess – Noch so viele Fragen
Der Anschlag auf einen deutsch-iranischen Lebensmittelladen in der Kölner Probsteigasse wohl eher nicht. Ein Einkaufskorb mit einer getarnten Bombe war im Laden abgestellt worden. Die Personenbeschreibung des Mannes mit dem Korb passt weder auf Uwe Mundlos noch auf Uwe Böhnhardt. Wer deponierte also den Sprengsatz, der eine junge Frau schwer verletzte? Gab es Mittäter vor Ort? Diese Frage stellt sich nicht nur beim Anschlag in der Probsteigasse, sondern bei einer ganzen Reihe von Taten, die die Bundesanwaltschaft dem Trio aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zuordnet. Die Opferangehörigen beschäftigt die Frage nach den NSU-Unterstützern bis heute. Der Prozess aber wird hier wohl letztlich keine Aufklärung bringen.
Angriff weiterhin ungeklärt
Vor knapp drei Monaten gab es den Versuch von ca. 50 extrem rechten Hooligans und Neonazis die Gedenkveranstaltung zum Anschlag des NSU in der Kölner Probsteigasse anzugreifen. Bewaffnet wurden sie wenige hundert Meter vorher von der Polizei gestoppt.
Die Priatenpartei thematisierte den versuchten Angriff als kleine Anfrage an die Landesregierung in NRW und erhielt folgende Antwort, die hier nachzulesen ist. Das Dokument enthält kaum aufschlussreiche Informationen. Weder die Tatsache, dass die Gruppe erst unmittelbar am Gedenkort gestoppt werden konnte, wird kritisch hinterfragt, noch die laschen „Maßnahmen“ nachdem die Gruppe gekesselt wurde. Ein versuchter bewaffneter Angriff auf Menschen, die an einem NSU Tatort einem rechtsterroristischen Bombenanschlag gedenken, wird demnach mit „Personalienfeststellung“ abgehandelt. Ebenfalls lagen der Kölner Polizei seit 17 Uhr „Erkenntnisse“ vor, dass es einen Angriff geben könnte. Dies wurde weder der Anmelderin der Kundgebung, noch den Versammlungsteilnehmern vor der Veranstaltung mitgeteilt. Weiterhin unklar bleibt, woher die Polizei ihre Erkenntnisse hatten und welchen Zusammenhang es zu der „Hogesa-Kundgebung“ in Essen gab. Unter den „kontrollierten“ 29 Angreifern waren nämlich nur drei zuvor in Essen in Erscheinung getreten.
Interessant ist, dass entgegen der Pressemeldungen und Angaben der Polizei die Angreifer „insbesondere aus Köln“ kamen.
Augenschein des Terrors: Ein Besuch der NSU-Tatorte
Nach bald 200 Verhandlungstagen am Oberlandesgericht München ist der NSU-Prozess zu einer Art Alltagsgeschäft geworden. Als Beobachter und Dauergast auf der Zuschauertribüne wird es zunehmend schwieriger, dem zu entgehen, was man als einen „Terror der Intimität“ beschreiben könnte. Ähnlich negativ berühren die NSU-Tatorte und die Formen des Gedenkens.
Es sind bisweilen trostlose und geradezu banale Orte, an welchen die Menschen, um die es in diesem Prozess geht, brutal ermordet oder durch Bomben verletzt wurden. Eine meiner „NSU-freien“ Wochen vor Gericht habe ich darauf verwendet, die crime scenes des NSU aufzusuchen. Dabei ging es nicht um Tatort- Hopping, sondern um den Versuch, sich den Ermordeten auf eine andere Art und Weise zu nähern. Und es ging um die Frage des Erinnerns.
In Hamburg ist der Text des Gedenksteins nicht mehr zu lesen, in Dortmund hat sich längst der winterliche Grauschleier der Autoabgase auf der hässlichen Gedenkplatte neben der Fahrbahn der Mallingrothstraße abgesetzt. Und in Nürnberg erklärt der Spruch auf einer der Gedenktafeln für Enver Şimşek ihn zum „Fremdling“. Man fragt sich, wie ein angemessenes Erinnern an die Getöteten und die Hintergründe ihrer Ermordung aussehen könnte. Wie kann der Zu- sammenhang zwischen gesellschaftlichem und institutionellem Rassismus herstellt werden? Wie kann man auf die staatlichen Verstrickungen hinweisen? Weder an diesen Orten noch im Gerichtssaal ist etwas davon zu spüren, dass der NSU-Prozess als Anstoß für eine gesellschaftliche, juristische oder politische Aufarbeitung gesehen wird.
Prozessbeobachter Friedrich C. Burschel vom Bayrischen Flüchtlingsrat hat die Tatorte des NSU aufgesucht. Dabei entstand eine Bildserie, die ihr euch hier anschauen könnt:
Bildserie im pdf-Format
Offensives Erinnern!
Am gestrigen Sonntagabend erinnerten 200 Menschen an den rechtsterroristischen Anschlag in der Kölner Probsteigasse, der sich zum 14. Mal jährte. Mit Videobeiträgen, Interviews, einer Lesung und Reden wurden die Geschehnisse am 19. Januar 2001 dargestellt, die Folgen thematisiert und die Arbeit der Ermittlungbehören kritisiert. Bis heute ist der Anschlag unaufgearbeitet, der Täter unklar und Konsequenzen für die beteiligten Behörden blieben aus.
Einen Tag vor dem eigentlichen Jahrestag des Bombenanschlags in der Probsteigasse veranstaltete die Antifaschistische Koordination Köln und Umland mit einigen Unterstützerinnen und Unterstützern eine Gedenkveranstaltung an dem Ort, wo ein Sprengsatz in einem Lebensmittelgeschäft explodierte. Die Explosion hatte Folgen. Die damals neunzehnjährige Tochter des Ladenbesitzers, die aus dem Iran stammte und die zusammen mit ihrer Familie in der BRD Asyl erhielt, erlitt schwerste Verletzungen. Nur zufällig ist sie mit dem Leben davon gekommen. Nur zufällig waren keine weiteren Personen im Laden. Neben dem physischen Schaden entstand erheblicher Sachschaden und eine psychische Belastung für die gesamte Familie, die dadurch zur Geschäftsaufgabe gezwungen wurde. In einem Video (siehe Sidebar, Gemeinschaftsproduktion von SZ-Magazin, BR und UFA) wurde der Tathergang und seine Folgen deutlich, der die Familie bis heute beschäftigt.
Anschließend berichtete die Musikgruppe Microphone Mafia, die ihr Tonstudio im gleichen Haus hatte, in dem der Anschlag passierte, über die Wochen nach dem Anschlag. Sie beschrieben die falschen Ermittlungsansätze der Kölner Polizei, die auch in diesem Fall frühzeitig einen rechten Hintergrund der Tat ausschloss. Die Stimmung in der Straße war damals von Betroffenheit gekennzeichnet. Anders als in der Keupstr. waren die Kunden im Laden der Familie vor allem Herkunftsdeutsche. Sie sammelten sogar Spenden für die Familie. Der Umgang in der Straße kann daher als solidarisch bezeichent werden. Die Betroffenheit der Anwohner_innen ist sicherlich auch durch die Tatsache zu erklären, dass die Detonation weit außerhalb des Geschäftes zu spüren war, wie ein Anwohner am Rande der Kundgebung erzählte. Weiterlesen